Neues Urteil: besserer Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer – Wegweiser!

Ein bahnbrechendes Urteil hat das Arbeitsgericht Köln vor kurzer Zeit erlassen. Es geht um den Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer. Das Gericht hat ihn auf erst kurz bestehende Arbeitsverhältnisse unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Diskriminierung ausgeweitet. Die Einzelheiten lesen Sie in unserem Beitrag!

Hände legen sich um Schwerbehinderung-Symbol

Arbeitnehmer, die schwerbehindert sind, haben einen besonderen Kündigungsschutz nach dem Gesetz. Dieser Schutz vor Kündigungen greift jedoch nicht immer, das Gesetz kennt Ausnahmen. Eine jüngere Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln hat die Ausnahmen vom Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen eingegrenzt.

In nachfolgendem Artikel erklären wir den Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer und zeigen, welche neuen Aspekte das Arbeitsgericht aufgezeigt hat.

Besonderer Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen

kuendigungsschutz bei schwerbehinderung

Der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gilt nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Köln auch bereits bei kurzzeitig bestehenden Arbeitsverhältnissen.

Schwerbehinderte Menschen und diesen gleichgestellte Beschäftigte genießen einen besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz. Geregelt ist er im SGB IX. Hiernach müssen Arbeitgeber, die einen schwerbehinderten Angestellten kündigen wollen, zuvor schriftlich die Zustimmung des Integrationsamtes einholen.

Dieser Kündigungsschutz gilt auch für Klein- und Kleinstbetriebe. Auf die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer kommt es nicht an, vgl. §§ 168 ff.; 185 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; 151 Abs. 1 und 3 SGB IX.


Zustimmung des Integrationsamts notwendig

Arbeitgeber müssen die für die Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einholen, das für ihren Betriebssitz zuständigen ist. Die  Integrationsämter stellen für diesen Zweck  Antragsformulare zur Verfügung. Der Arbeitgeber ist gehalten, den Kündigungsgrund, insbesondere den Zusammenhang zwischen Kündigung und Behinderung, zu erklären. Dann entscheidet das Integrationsamt, ob es die Zustimmung erteilt oder verweigert.

Arbeitgeber müssen selbstverständlich das Kündigungsschutzgesetz beachten, d.h. bei betriebsbedingten Kündigungen insbesondere die Sozialauswahl berücksichtigen, s.  § 1 Kündigungsschutzgesetz.

Ohne Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung ist die Kündigung unwirksam. Die Zustimmung kann nicht nachträglich eingeholt werden.

Das Integrationsamt hört es den Beschäftigten an und holt die Stellungnahmen des Betriebs- oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein.

Das Integrationsamt achtet auf die Verhältnismäßigkeit. Es muss das Interesse des schwerbehinderten Beschäftigten und des Arbeitgebers gegeneinander abwägen, aber auch Unterstützungsmöglichkeiten suchen. Solche sind z.B.

  • Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Hilfsmitteln
  • Umsetzung des Schwerbehinderten auf einen anderen Arbeitsplatz

Falls Unterstützungsmaßnahmen für den Arbeitgeber zumutbar sind, muss er diese umsetzen.

Verfahrensdauer vor dem Integrationsamt

Es muss zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung differenziert werden.

Über eine ordentliche Kündigung muss das Integrationsamt in einer Frist von einem Monat nach Antragstellung entscheiden, schriftlich.

Nach Zustellung der Entscheidung hat der Arbeitgeber einen Monat Zeit, die Kündigung auszusprechen

 Eine außerordentliche Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von dem wichtigen Grund, der die Kündigung rechtfertigt, ausgesprochen werden. Innerhalb dieser zwei Wochen muss auch der Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt gestellt werden. Das sind Ausschlussfristen.

Das Integrationsamt muss innerhalb von zwei Wochen entscheiden. Macht es das nicht, so gilt die Zustimmung zur Kündigung als erteilt.

Liegt die Zustimmung des Integrationsamtes vor und wurden – falls vorhanden Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung angehört – muss der Arbeitgeber unverzüglich kündigen.


Schwerbehinderung ist Arbeitgeber nicht bekannt

Wenn der  Arbeitgeber einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten kündigt, aber nichts von der Schwerbehinderung weiß, kommt dennoch der besondere Kündigungsschutz zum Tragen. Die Zustimmung des Integrationsamt ist erforderlich. Das gilt allerdings nur, wenn der Beschäftigte innerhalb von 3 Wochen nach der Kündigung den Arbeitgeber über die Schwerbehinderung informiert.

Ausnahmen: dann gilt der besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte nicht

Ausnahmen vom besondere Kündigungsschutz bestehen z.B. in nachfolgend angeführten Fällen (nicht abschließend):

  • Eigenkündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers
  • Aufhebungsvertrag
  • befristeten Arbeitsverhältnisses läuft aus
  • Arbeitsverhältnis bestand zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate

Anti-Diskriminierung: Erweiterung Kündigungsschutz bei kurzen Arbeitsverhältnissen

Das Arbeitsgericht Köln entschied erweiterte den Kündigungsschutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern auch bei kurzen Arbeitsverhältniss und entschied unter dem Az 18 Ca 3954/23, dass Kündigungen, die gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote verstoßen, gemäß § 134 BGB rechtsunwirksam sind, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Das gelte auch bei kurzen Arbeitsverhältnissen, die noch keine 6 Monate andauern.

Nachfolgend zitieren wir (teilweise verkürzt) aus den Entscheidungsgründen:

§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verbietet Arbeitgebern jede Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter wegen ihrer Behinderung und konkretisiert damit in dem von ihm erfassten Bereich das in Art. 21 Grundrechtscharta (GRCh) niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot.

Zudem sieht Art. 26 GRCh vor, dass die Europäische Union den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung sowie ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkennt und achtet. Für die Auslegung dieser Richtlinie sind wiederum Art. 14 EMRK und Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu beachten. Danach müssen Vertragsstaaten – darunter die Bundesrepublik Deutschland –, die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit durch geeignete Schritte sichern und fördern, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um unter anderem „Diskriminierung aufgrund von Behinderung in allen Angelegenheiten im Zusammenhang mit einer Beschäftigung gleich welcher Art, einschließlich der Auswahl-, Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen, der Weiterbeschäftigung, des beruflichen Aufstiegs sowie sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen zu verbieten“


Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Der Arbeitgeber muss nach oben genannten Vorschriften die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um dem Menschen mit Behinderung – unter anderem – den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung eines Berufes zu ermöglichen. Ausnahme: diese Maßnahmen würden ihn unverhältnismäßig belasten.

Umkehr der Beweislast

Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen sieht § 22 AGG im Hinblick auf den Ursachenzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Das heißt konkret: Fall im Streitfall die eine Partei Indizien vorträgt und nachweislich vorlegt, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Dabei ist ausreichend, dass die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Es gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.


Verstoß des Arbeitgebers gegen Förderpflichten

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet in aller Regel  die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein. – So die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Integrationsamt

Eine solche Vorschrift ist § 167 Abs. 1 SGB IX, so sieht es das Arbeitsgericht Köln. Nach § 167 Abs. 1 SGB IX schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Diese Vorschrift soll der Behebung von Schwierigkeiten dienen, die bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten auftreten, „um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortsetzen zu können“ (BT-Drs. 14/3372, 19).

Das den Arbeitgeber diesbezüglich treffende Pflichtenprogramm dient der Umsetzung und Stärkung der in § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 4 SGB IX geregelten Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer auf leidensgerechte Beschäftigung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes. Hiernach haben schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können sowie auf eine behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr. So können schwerbehinderte Arbeitnehmer unter Umständen verlangen, etwa nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt zu werden, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung. Bei der Durchführung der hierfür erforderlichen Maßnahmen unterstützen die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen.

Ein Anspruch besteht (nur) dann nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.


Diskriminierungsschutz auch schon während er ersten 6 Monate der Beschäftigung

Das eigentlich Neue an der Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln ist folgendes: Das Arbeitsgericht geht entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vorgängernorm davon aus, dass  der Arbeitgeber auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet eist, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies, so das Arbeitsgericht, ergäbe sich durch die unionsrechtskonforme Auslegung des Gesetzesparagrafen.

Quellen

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/arbg_koeln/j2023/18_Ca_3954_23_Urteil_20231220.html

SGB IX

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