Die Systeme der Grundsicherung und Existenzsicherung mit dem Bürgergeld und mit dem Wohngeld sind erst vor einem Jahr neu gestaltet und reformiert worden. Weitere Änderungen sind sogar erst vor knapp einem halben Jahr in Kraft getreten.
Nun scheinen aber mehr und tiefgreifende Änderungen notwendig zu werden. Das jedenfalls empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesjustizministerium. Es gebe erhebliche Defizite bei den unterschiedlichen Leistungen. Das betreffe insbesondere die Zuverdienstregelungen beim Bürgergeld und das Wohngeld.
Offensichtlich handelt es sich um Fehler bei den „Basics“, also den Grundlagen der Leistungssysteme Bürgergeld und Wohngeld.
In nachfolgendem Artikel erklären wird, was der Wissenschaftliche Beirat beim Justizministerium bemängelt.
Einkommensfreigrenzen sollen Arbeit für Bürgergeld-Bezieher attraktiv machen
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesjustizministerium empfiehlt Änderungen beim Bürgergeld und Wohngeld. U.a. sollen die Zuverdienstgrenzen angehoben werden.
Mit dem Bürgergeld Gesetz sind die Zuverdienst-Grenzen angehoben worden. Wer neben dem Bürgergeld Bezug arbeitet und Einkommen erzielt, kann davon mehr als bei der alten Hartz IV Regelung behalten.
Nun scheint es aber so, dass sich ein Zuverdienst in bestimmten Bereichen des Einkommens kaum auszahlt, ja, zum Einbußen führen kann.
Außerdem werden von den Wissenschaftlern Undurchsichtigkeit des Systems und Parallelstrukturen angeprangert.
Zuverdienstregelungen bei Bürgergeld und Grundsicherung nicht gut durchdacht
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesjustizministerium sieht Probleme bei der Abstimmung unterschiedlicher Leistungen, insbesondere bei den Zuverdienstregeln des Bürgergeldes.
Er verglich unterschiedliche Einkommens- und Haushaltstypen. Menschen, die nur wenig verdienen, haben Anspruch auf Beihilfen, etwa Wohngeld oder Kinderzuschlag. Bürgergeld Bezieher können ebenfalls einen prozentualen Anteil vom Einkommen behalten.
Vom Gesetzgeber gewollt ist ein Lohnabstand zum Bürgergeld. Arbeit soll finanziell attraktiver sein als der Bezug von Sozialleistungen.
Was untersuchten die Wissenschaftler genau?
Die Wissenschaftler schauten sich die Einkommenssituationen unterschiedlicher Haushalte an und verglichen diese. Sie wurden in München und Leipzig tätig. Sie berechneten, welches Nettoeinkommen dem jeweiligen Haushalt bei verschiedenen Bruttoarbeitseinkommen bleibt, wenn er die maximale staatlich Leistung in Anspruch genommen wird.
Zu welchem Ergebnis kommen die Wissenschaftler?
Das Ergebnis der Untersuchung war unter anderem, dass es Einkommensabstände gibt, die zu wechseln sich nicht lohnt. Mit anderen Worten: es lohnt sich in bestimmten Fällen nicht, ein höheres Einkommen zu erzielen, weil dadurch Sozialleistungen wegfallen, die mit dem höheren Einkommen aufgefangen werden müssen.
In der Untersuchung wird ein Beispiel einer vierköpfigen Familien angeführt, Vater, Mutter und zwei Kinder, die in München lebt: bei einer Erhöhung des Bruttoeinkommens eines Elternteils zwischen 4.000 und 5.000 Euro verringern sich die staatlichen Leistungen derart, dass die Familie über ein geringeres Nettoeinkommen verfügt.
Hohe Wohnkosten, die regional sehr unterschiedlich ausfallen, sind oft entscheidend, ob sich Mehrarbeit lohnt oder nicht. So wird beispielsweise die Höhe der Verringerung des Wohngeldes derart berechnet, dass die Verringerung desto höher ausfällt, je höher die Miete ist. Das bedeutet, dass es regional erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Anreizes gibt, mehr zu arbeiten und mehr zu verdienen.
Zwei Systeme stehen nebeneinander: Bürgergeld und Wohngeld plus Kinderzuschlag
Gegenwärtig stehen zwei soziale Hilfssysteme nebeneinander: das Bürgergeld und das Wohngeld plus Kinderzuschlag. Das Bürgergeld hilft arbeitslosen Menschen und ihren Familien, das Wohngeld, kombiniert mit dem Kinderzuschlag, hilft arbeitenden Menschen und ihren Familien mit geringem Einkommen.
Die Wissenschaftler haben nun festgestellt, dass die regional unterschiedlich hohe Verringerungsrate des Wohngeldes bei unterschiedlich hohen Mieten dazu führt, dass sich die am konkreten Bedarf ausgerichtete Absicherung von Geringverdienern mittels Wohngeld und ggf. Kindergrundsicherung bei gleichem Bruttoeinkommen regional sehr unterschiedlich ausfällt und das so regional sehr große Unterschiede bestehen, was den Anreiz betrifft, eine Arbeit aufzunehmen.
Intransparenz und Bürokratie
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesjustizministerium war neben den oben geschilderten Mängeln auch mit der Transparenz von Leistungen und dem Bürokratischen Aufwand nicht zufrieden.
Ein Leistungsempfänger könne sehr schwer erkennen, welchen Anteil eines (zusätzlichen) Bruttoeinkommens er behalten darf.
Zudem gebe es unterschiedliche Zuständigkeiten und Rechtskreise für die staatlichen Geldmittel. Das schaffe eine Hemmschwelle für die Beantragung der Leistungen.
Die Folge sei, dass Bezieher von Transferleistungen immer wieder zwischen den staatlichen Sozialleistungssystemen wechseln müssten. Hintergrund Bürgergeld, Wohngeld und Kindergrundsicherung sind bei unterschiedlichen Bundesministerien beheimatet.
Reformvorschlag: Was soll der Gesetzgeber ändern?
Der Wissenschaftliche Beirat vor, die zweigeteilte Grundsicherung, Bürgergeld auf der einen, Wohngeld und Kindergrundsicherung auf der anderen Seite, bei Einführung der geplanten Kindergrundsicherung einheitlich zu gestaltet und die Transferleistungen gerechter zu machen.
Außerdem müssten, so die Wissenschaftler, die Hinzuverdienstregelungen durchsichtiger werden. Schließlich sei notwendig, dass ein Wechsel in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse noch besser gefördert werde, also bisher. Im Einzelnen:
- Das Bürgergeld sollte also nur noch den alltäglichen Bedarf, also den Regelsatz beinhalten.
- Die Kosten der Unterkunft beim Bürgergeld und das gegenwärtige sollten in einem neuen Wohngeld zusammengefasst werden. Wie bisher soll auf die regionalen Unterschiede Rücksicht genommen werden.
- Die Kindergrundsicherung sollte nur den alltäglichen Bedarf der Kinder abdecken, aber keine speziellen Zuschüsse wie eine Kinderwohnkostenpauschale beinhalten. Nur so werden eine doppelte Berücksichtigung von Wohnkosten bei den Leistungen für Kindern vermieden.
- Die Hinzuverdienstgrenzen sollten bei Beziehern von Bürgergeld ausgedehnt werden, um einen besseren Arbeitsanreiz, also einen Anreiz für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, zu bieten.
Zusammenfassung zu: Änderungen beim Bürgergeld von Wissenschaftlern gefordert
Das Wichtigste zum Schluss kurz zusammengefasst:
- Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesjustizministerium bemängelt hohe Transferentzugsraten, dass Leistungsbeziehern also zu viel Geld entzogen wird, wenn sie zum Bürgergeld Geld hinzuverdienen.
- Es gibt regional große Unterschiede beim Arbeitsanreiz, was mit den unterschiedlich hohen Mietkosten zusammenhängt.
- Die Zuverdienstgrenzen sind zu niedrig, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen. Zudem ist schwer erkennbar, wie viel bei der Inanspruchnahme von Wohngeld vom Nettoeinkommen übrig bleibt.
- Der Reformvorschlag der Wissenschaftler: Das Bürgergeld muss auf den Regelsatz beschränkt werden. Hinsichtlich der Wohnkosten soll es ein einheitliches Wohngeld geben, dass auch Geringverdienern zugänglich ist. Außerdem müssten die Zuverdienstgrenzen angehoben werden.
Sabine Martholt hat Recht und Journalismus studiert und fundierte Kenntnisse im Bereich des Sozialrechts und des Rentenrechts. Beide Rechtsgebiete sind gleichzeitig ihr Hobby, wie sie gern verrät. Bereits vor ihrem ersten Volontariat bei einer Zeitung hat sie sich dem Schreiben gewidmet. Die Entwicklung des Sozialrechts in Deutschland hat sie mit großer Aufmerksamkeit, manchmal aber auch mit Kopfschütteln verfolgt – wie sie selbst sagt. Sie schreibt seit vielen Jahren für unser Online-Magazin. Gute Recherche und die eigene Meinung – beides ist ihr wichtig.