Kaum eine andere Sozialleistung ist so mit Emotionen verknüpft wie das Bürgergeld. Klischees und Vorurteile wandern durch die Köpfe der Menschen. Angefacht wird die Diskussion von Argumenten, denen oft die Basis fehlt. Egoismus spielt eine Rolle. Neid auch. Und die Unzufriedenheit mit der Politik und der eigenen Situation. Anderen soll es keinesfalls besser gehen, als mir selbst.
Doch wer bezieht überhaupt Bürgergeld? Sind es arbeitslose Menschen, die sich gleich nach dem Aufwachen eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank holen?
In unserem Beitrag beleuchten wird ein wenig genauer, wer überhaupt Bürgergeld bezieht, welche Voraussetzungen man erfüllen muss und wie Vorurteile zustande kommen.
Haushaltsdebatte nährte sich vom Bürgergeld
Die Mehrheit der Deutschen will das Bürgergeld kürzen. Viele denken, Bürgergeld Bezieher seien faul. Doch das ist ein Vorurteil.
Während der Haushaltsdebatte stand das Bürgergeld oft im Fokus der Diskussion. Es gibt um die Frage, ob nicht durch Einsparungen beim Bürgergeld das Haushaltsloch von 60 Milliarden Euro, das durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgedeckt wurde, mit gestopft werden können. Insbesondere CDU / CSU und FDP wollten starke Kürzungen beim Bürgergeld. Im Endeffekt sollen nun wohl 1,5 Milliarden Euro beim Bürgergeld eingespart werden. Der Bürgergeld Bonus soll wegfallen und es soll stärkere Sanktionen für Totalverweigerer geben.
Mehrheit der Deutschen will Kürzungen beim Bürgergeld
Etwa zwei Drittel der Deutschen wollen, dass es Kürzungen beim Bürgergeld gibt, so jüngste Umfragen. Sie wollen, dass arme Menschen weniger Gelde erhalten.
Wie lässt sich das erklären. Armutsforscher Christoph Butterwegge erklärte das in einem ZDF Interview so, dass viele Menschen ein falsches Bild von denjenigen hätten, die Bürgergeld beziehen. Es sei die Vorstellung verbreitet vom faulen, auf dem Sofa liegenden, die Bierflasche in der Hand haltenden Nichtstuers, der nicht arbeiten will und auf Kosten der Allgemeinheit lebt.
Wer bezieht Bürgergeld
Doch wer bezieht Bürgergeld tatsächlich? Sind es faule, arbeitslose Menschen?
Die statistischen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zum Bürgergeld sagen folgendes:
Circa 5,5 Millionen Menschen beziehen in Deutschland Bürgergeld.
Von diesen 5,5 Millionen Menschen sind
– 1/3 minderjährig; es sind also ca 1,8 Millionen Kinder und Jugendlichen, die Bürgergeld erhalten
– eine halbe Millionen alleinerziehende Mütter (93 Prozent) oder Väter (7 Prozent)
– 800.000 Menschen, die Bürgergeld aufstockend erhalten, weil ihr Gehalt aus ihrer Erwerbstätigkeit nicht ausreicht, den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen
– Circa 1,7 Millionen tatsächlich arbeitslose Menschen. Von diesen haben 2/3 keinen Berufsabschluss, gelten also als schwer vermittelbar
– 250.000 Menschen, die mehr als vier Jahre arbeitslos sind.
- 1,7 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen und als arbeitslos gelten. Etwa zwei Drittel von ihnen haben keinen formalen Berufsabschluss – sind auf dem Arbeitsmarkt also per se schwer zu vermitteln.
- knapp eine Viertelmillion Menschen, die seit mindestens vier Jahren arbeitslos sind.
Die überwiegende Zahl der Bürgergeld Bezieher sind also überhaupt nicht arbeitslos; sie können nicht arbeiten oder arbeiten bereits, ihr Verdienst reicht aber zum Leben nicht aus.
Sind Langzeitarbeitslose faul?
Menschen, die über längere Zeit arbeitslos sind, Langzeitarbeitslose, werden oft als „faul“ angesehen. Aber ist das tatsächlich so?
Das Problem sei, so u.a. Armutsforscher Butterwegge, dass man Menschen, die mehrere Jahre nicht gearbeitet haben und staatliche Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten haben, nicht problemlos wieder in den Arbeitsmarkt integrieren könne. Viele haben seelische Problem, manche Alkoholprobleme.
Selbstverständlich gibt es auch Arbeitslose, die sich weigern eine Arbeit aufzunehmen. Aber hierbei handelt es sich um einen sehr kleinen Anteil der Bürgergeld beziehenden Menschen.
Warum gibt es das Vorurteil der mehrheitlich faulen Bürgergeld Bezieher?
Wissenschaftler sehen die Gründe für die Vorurteile gegenüber Bürgergeld Beziehern unter anderem darin, das politische und zivilgesellschaftliche Akteure in diese Richtung gesteuert haben. So erklärt die Soziologin M. Motakef in einem ZDF Interview, dass es vor ca. 25 Jahren damit begann, dass in den Medien, etwa im Fernsehen, auf arme Menschen herabgeschaut wurde, sie als gescheitert dargestellt wurden. Reichtum hingegen wurde als persönliche Leistung und nicht als soziales Privileg dargestellt.
Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass Politik und Medien auch heute noch so verfahren und die eingefahrenen sozialen Leitbilder verfestigen.
Viele Menschen sind durch die gegenwärtigen Krisen wie Ukraine Krieg und Inflation verunsichert. Sie wollen sich abgrenzen und ihren Status gewahrt wissen, sie wollen nicht zur unteren Schicht gehören. Wer verunsichert ist, tritt häufig um sich. Und Treten nach unten ist einfacher als Treten nach oben. So sind die menschlichen Mechanismen.
Quellen und weitere Informationen
Bundeszentrale für politische Bildung
Hartmut Dreier ist ein Vollblutjournalist mit sozialem Herz. Er engagiert sich seit Jahren in unserem Online-Magazin. Er hat Kommunikationswissenschaft und Journalismus studiert. Gebürtig stammt er aus Bayern, arbeitete in Berlin und Frankfurt a. M. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie gut recherchiert und für die Menschen geschrieben sind.