Die FDP-Fraktion im Bundestag hat dort aktuell eine Kleinen Anfrage (20/14397) zu offenen Bürgergeld-Forderungen der Jobcenter gestellt. Sie fragt darin die Bundesregierung nach den zehn häufigsten Gründe dafür, dass Bürgergeldempfänger Darlehen für unabweisbare Bedarfe beantragen beziehungsweise erhalten. Ferner fragen sie nach der durchschnittlichen Höhe eines Darlehens und einer Überzahlung im SGB II. Außerdem geht es um die Frage, ob Bürgergeld Darlehen zinslos sind oder nicht.
Wir fragen uns: warum stellt die FDP solche Fragen hinsichtlich Bürgergeld-Darlehen? Wir versuchen, sie in unserem Artikel zu beantworten.
FDP fragt: Bürgergeld Darlehen mit oder ohne Zinsen?
Warum müssen Bürgergeld Bezieher keine Zinsen bei einem Darlehen vom Jobcenter zahlen? Das will die FDP Bundestagsfraktion aktuell wissen! – Oder müssen sie es doch? Diese Frage beantworten wir, der Verein Für soziales Leben e.V.!
Die FDP stellt in ihrer Kleinen Anfrage (BT – Drucksache 20/14397) konkret 34 Fragen im Zusammenhang mit Bürgergeld Darlehen und offenen Forderungen im Bereich Bürgergeld.
So fragt sie unter Punkt 23:
Zu welchen Konditionen werden Darlehen im SGB II vergeben (Laufzeit, Zins)?
Unter Punkt 24 fragt sie: Falls die Darlehen zinsfrei vergeben werden, warum werden die Darlehen zinsfrei vergeben?
Rechtsgrundlage des Bürgergeld Darlehens
Die Rechtsgrundlage für Bürgergeld Darlehen ist § 42a SGB II. Daneben werde in weiteren SGB II Einzelnormen Voraussetzungen genannt, wann ein Bürgergeld Darlehen zu vergeben ist bzw. vergeben werden kann.
Können für Bürgergeld-Darlehen Zinsen berechnet werden?
Wir, der Verein Für soziales Leben e.V., sind der Frage nachgegangen, ob für Bürgergeld Darlehen vom Jobcenter Zinsen berechnet werden dürfen.
Ad hoc ist uns dazu eingefallen: Bürgergeld Bezieher leben am Rande des Existenzminimums. Wenn Ihnen ein Darlehen vom Staat bewilligt wird, um das Existenzminimum abzusichern … woher sollen sie das Geld nehmen, um Zinsen zu zahlen?
Ob sich die FDP-Fraktion im Bundestag solche Gedanken gemacht hat? Wir wissen es nicht.
Allerdings hätte die FDP-Fraktion ein wenig recherchieren können, dann wäre sie auf ein Urteil des Bundessozialgerichts gestoßen, das die Berechnung und Erhebung von Zinsen bei einem Darlehen durch Verwaltungsakt im Bereich der Sozialhilfe als nicht rechtmäßig ansieht.
Das Bundessozialgericht führt in diesem Urteil vom 27.05.2014 unter dem Aktenzeichen B 8 SO 1/13 R aus, dass Zinsen auf eine Darlehensschuld nur erhoben werden können, wenn eine Rechtsgrundlage dafür vorhanden ist.
Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung für die Erhebung von Zinsen folge, so das Bundessozialgericht, bereits aus dem einfachgesetzlichen Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I, wonach Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz dies vorschreibe oder zulasse.
Im SGB II oder in den weiteren Büchern des SGB findet sich nun aber keine Ermächtigungsgrundlage für die Verzinsung von Ansprüchen auf Rückzahlung eines Darlehens!
Wichtig: Zur Zeit der Entscheidung des BSG gab es das Bürgergeld noch nicht. Allerdings kann die Entscheidung ohne weiteres auf das Bürgergeld übertragen werden, da sie sich auf das Sozialhilferecht des BSHG bezog, die zuvor anstelle des Bürgergeld-Gesetzes (SGB II) anzuwenden war. Für das Bürgergeld gelten dieselben Grundsätze! Es gibt keine neuen Zins-Regelungen.
§ 44 Abs. 1 SGB I keine Rechtsgrundlage für die Zinserhebung bei Bürgergeld Darlehen
Das Bundessozialgericht stellt in seinem Urteil klar, dass auch § 44 Abs 1 SGB I, wonach Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen sind, keine solche Rechtsgrundlage sei. Von der Vorschrift seien nur Ansprüche des Bürgers gegen den Staat erfasst, die diesem zur Verwirklichung seiner sozialen Rechte gewährt, aber im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit noch nicht gezahlt wurden.
Zinsforderung keine Nebenbestimmung bei einer Bürgergeld Darlehensbewilligung
Das Bundessozialgericht urteilt weiter, dass selbst dann, wenn man die Zinsforderung als Nebenstimmung zur Verfügung über die Bewilligung des Darlehens ansehen würde, sich nicht anderes ergäbe. Die Voraussetzungen des § 32 Abs 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt über die Erbringung einer Leistung (Darlehen), die keine Ermessensleistung darstellt, nur mit einer entsprechenden Nebenbestimmung (Zinsen) versehen werden darf, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Leistungsbewilligung erfüllt werden, liegen jedenfalls nicht vor.
Darlehen durch Vertrag: Zinsen ebenfalls nicht Zulässig
Etwas anderes würde sich auch nicht ergeben, wenn das Darlehen nicht durch Verwaltungsakt (Bescheid) bewilligt wird, sondern durch Vertrag. Denn § 55 Abs 2 SGB X bestimmt folgendes: eine Gegenleistung bei einer gebundenen Entscheidung kann im Vertrag nur vereinbart werden, wenn diese auch Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 32 SGB X sein könnte. Das ist aber, wie oben beschrieben, bei einer Darlehensgewährung nicht der Fall.
Rechtsnatur eines Darlehens beinhaltet nicht Zinsen
Die Berechtigung zur Verzinsung des Darlehens ergibt sich auch nicht aus der Rechtsnatur des Darlehens selbst, führt das Bundessozialgericht aus.
Schon nach § 488 BGB, der grundlegenden zivilrechtlichen Norm für eine Darlehensgewährung, ist ein Darlehen nur dann verzinslich, wenn dies (und sei es auch nur konkludent) vereinbart worden ist. Selbst wenn die Verzinslichkeit des Darlehens möglicherweise den Regelfall bildet, ergebe sich nichts anderes. Denn auch § 488 Abs 1 Satz 2 BGB enthebt, so das BSG, nicht von einer solchen Vereinbarung (“geschuldeter Zins”). Das bedeute: nach wie vor kann ein Darlehen auch zivilrechtlich als Unentgeltliches vereinbart werden.
Bundessozialgericht: Keine „Suprazinsnorm“ im Bereich des Sozialhilferechts hinsichtlich Darlehenszinsen
Das Bundessozialgericht führt weiter aus: „Ein “übergeordnetes” sozialhilferechtliches Prinzip, das die Zinsforderung rechtfertigen könnte, kann ebenso wenig als Grundlage für den Zinsanspruch herangezogen werden. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass es keine über dem geschriebenen Recht stehende “Supranormen” gibt, die gesetzliche Regelung konterkarieren dürften … oder bei ihrem Fehlen gar eine solche ersetzen könnten. Prinzipien können vielmehr allenfalls aus den jeweiligen maßgeblichen Normen entwickelt werden, mithin weder dazu genutzt werden, explizite gesetzliche Regelungen in ihr Gegenteil zu kehren, noch dazu, fehlende gesetzliche Regelungen, wie hier zum Zinsanspruch, zu ersetzen.“
Keine analoge Anwendung des § 44 SGB I für Zinsen beim Bürgergeld Darlehen
Eine analoge Anwendung der bereits o.g. genannten Zinsvorschriften, insbesondere des § 44 SGB I, komme ebenfalls nicht in Betracht, so das BSG. Eine Analogie, die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, sei nur geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar sei und nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordere. Daneben müsse eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegen.
Eine analoge Anwendung des § 44 SGB I scheide, so das Bundessozialgericht, für andere Personen als Empfänger einer Geldleistung aus. Insoweit fehle es an der Vergleichbarkeit der Interessenlage.
Außerdem fehle es an einer Regelungslücke. Dem Gesetzgeber sei bekannt gewesen, dass im Sozialrecht neben den gesetzlich geregelten Fällen weitere Ansprüche auf Geldleistungen verschiedenster Art existieren. Dennoch habe er für entsprechende Ansprüche von der Schaffung von Zinsregelungen abgesehen und es darüber hinaus abgelehnt, den Anwendungsbereich bereits bestehender Zinsregelungen auf alle Ansprüche des Bürgers gegen den Staat auszudehnen.
Zusammenfassung zu Bürgergeld-Darlehen und Zinsen
Bei einem Bürgergeld-Darlehen dürfen grundsätzlich keine Zinsen vom Leistungsbezieher verlangt werden. Die folgt – nicht nur – aus einer Entscheidung des Bundessozialgerichts!
Wir meinen: Zinsen von den ärmsten Menschen in Deutschland im Bereich der Sozialhilfe zu verlangen bzw. zu fragen, warum das nicht möglich ist, ist,
- ist purer Populismus,
- widerspricht dem christlichen Grundverständnis und
- ist unmoralisch.
Darlehen im Bereich Bürgergeld werden nur bei einem unabweisbaren Bedarf bewilligt! Also in einem Notfall!!
Fazit: Keine Zinsen bei Bürgergeld-Darlehen!
Quellen
Bundessozialgericht, Urteil, Az. B 8 SO 1/13 R bei obenjur.de
Deutscher Bundestag, Drucksache 20/14397
Hartmut Dreier ist ein Vollblutjournalist mit sozialem Herz. Er engagiert sich seit Jahren in unserem Online-Magazin. Er hat Kommunikationswissenschaft und Journalismus studiert. Gebürtig stammt er aus Bayern, arbeitete in Berlin und Frankfurt a. M. Seinen Artikeln sieht man an, dass sie gut recherchiert und für die Menschen geschrieben sind.