Linnemanns Bürgergeld-Rechnung umstritten

Die Behauptung von Carsten Linnemann über die Bürgergeldverweigerer ist nicht haltbar. Lesen Sie hier die Hintergründe.

Totalverweigerern soll Bürgergeld gestrichen werden.
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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemanns Behauptung, dass über 100.000 “Totalverweigerer” das Bürgergeld komplett gestrichen werden sollte, hat eine kontroverse Debatte ausgelöst. Laut Statistiken der Bundesagentur für Arbeit ist die tatsächliche Zahl der Arbeitsverweigerer jedoch deutlich geringer, was Fragen zur Genauigkeit und den Auswirkungen solcher politischen Vorschläge aufwirft.

Linnemanns Behauptung

Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, behauptete, dass eine „sechsstellige Zahl“ von Menschen grundsätzlich arbeitsunwillig sei und ihnen das Bürgergeld komplett gestrichen werden müsse.
Diese Behauptung basierte auf einer Fehlinterpretation der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, die rund 204.000 Menschen ohne „vermittlungshemmendes Merkmal“ auswies.

Diese Zahl ist jedoch nicht unbedingt ein Indikator für eine Arbeitsverweigerung, da sie auch Personen einschließen kann, die keine Stellenangebote erhalten haben oder mit nicht erfassten Hindernissen bei der Arbeitssuche konfrontiert sind.

Tatsächliche Ablehnungsstatistik

Laut Bundesagentur für Arbeit wurden in den ersten elf Monaten des Jahres 2023 nur 13.838 Fälle von Bürgergeldempfängern registriert, die die Aufnahme oder Fortsetzung einer Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme verweigerten.
Diese Zahl entspricht lediglich 0,86 Prozent der 1,6 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger. Die Statistiken stehen in krassem Gegensatz zu Linnemanns Behauptung von über 100.000 „totalen Verweigerern“ und verdeutlichen eine erhebliche Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik und tatsächlichen Daten. Es ist erwähnenswert, dass von den 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern im Jahr 2023 1,5 Millionen nicht erwerbsfähige Kinder unter 15 Jahren waren und viele andere bereits beschäftigt waren, sich in Ausbildung befanden oder triftige Gründe hatten, nicht für eine Arbeit zur Verfügung zu stehen.

Kritik und rechtliche Fragen

Der Vorschlag, das Bürgergeld für „Totalverweigerer“ vollständig zu streichen, steht vor erheblichen rechtlichen Herausforderungen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass Sanktionen, die 60 % der Leistungen übersteigen, gegen das verfassungsmäßige Recht auf ein Existenzminimum verstoßen, was Linnemanns Vorschlag rechtlich unhaltbar macht.
Auch der soziale Flügel der CDU kritisierte den Vorschlag. Christian Bäumler, stellvertretender Vorsitzender des Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerverbands (CDA), argumentierte, er widerspreche christlichen Werten und ignoriere die Realität der Bürgergeldempfänger.
Diese Einwände verdeutlichen das komplexe Zusammenspiel zwischen politischen Vorschlägen, rechtlichen Zwängen und ethischen Überlegungen in der Sozialpolitik.

Politische und soziale Reaktionen

Die Reaktionen auf Linnemanns Vorschlag fielen im gesamten politischen Spektrum überwiegend kritisch aus. Die Diakonie, ein großer Sozialhilfeverband, wies die Forderungen als realitätsfremd zurück. Ihr Präsident Rüdiger Schuch betonte, dass die überwiegende Mehrheit der Bürgergeldempfänger entweder arbeiten möchte oder mit legitimen Hindernissen bei der Arbeitssuche konfrontiert sei.
Innerhalb der CDU äußerte der soziale Flügel Bedenken . Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerverbandes, räumte ein, dass im vergangenen Jahr nur eine geringe Zahl von Menschen von Sanktionen wegen Arbeitsverweigerung betroffen war.
Diese Reaktionen verdeutlichen die wachsende Kluft zwischen harten politischen Vorschlägen und den komplexen Realitäten der Sozialverwaltung.