Einkommensschwache Familien erhalten weniger Sozialleistungen, als ihnen eigentlich zustehen. Zudem werden Haushalte mit wenig Besitz zusätzlich durch hohe Abgaben belastet, wie beispielsweise die Einkommenssteuer. Diese Abgaben liegen im Vergleich zur EU sogar über dem Durchschnitt. Im Gegensatz dazu verfügen wohlhabende Haushalte über ein höheres Einkommen, als es der Sozialstaat vorsieht.
Berechnung von Einkommensteuersätze in verschiedenen europäischen Ländern
- Deutschland: Für Deutschland gibt es einen Grundfreibetrag, bis zu dem kein Einkommensteuer gezahlt wird. Für einkommensschwache Familien könnten zudem Kinderfreibeträge und das Kindergeld relevant sein, welche die steuerliche Belastung mindern.
- Frankreich: In Frankreich wird die Einkommensteuer auf Basis eines Familienquotienten berechnet, wobei höhere Freibeträge für Familien mit Kindern angesetzt werden können.
- Italien: In Italien gibt es ein System von Steuerfreibeträgen und Ermäßigungen, auch für einkommensschwache Familien. Darüber hinaus gibt es Zuschüsse, die das Einkommen erhöhen können, ohne besteuert zu werden.
- Spanien: Ähnlich wie in anderen Ländern bietet auch Spanien verschiedene Steuervorteile für Familien mit Kindern und andere geringfügige Einkommensteuer-Ermäßigungen für einkommensschwache Gruppen.
- Niederlande: Die Niederlande bieten eine progressive Einkommenssteuer, die auch einkommensabhängige Zuschüsse umfasst, welche die effektive Steuerlast für einkommensschwache Familien reduzieren können.
Die Schere zwischen Arm und Reich
Das Vorhandensein einer Familie in Deutschland bringt sowohl finanzielle Vorteile als auch Nachteile mit sich. Ob die positiven oder negativen Aspekte überwiegen, hängt stark von der individuellen Situation ab. Sozialstaatliche Leistungen wie Kindergeld und steuerliche Vergünstigungen wie das Ehegattensplitting sind einige der Vorzüge. Andererseits müssen Eltern mehr Care-Arbeit leisten und viele Mütter arbeiten oft jahrelang nur in Teilzeit. Zur Bekämpfung von Armut gewährt der Sozialstaat finanzielle Unterstützung an Familien. Allerdings zeigt die Studie des DFG-Projekts FaSo, dass die Umverteilung gemäß den sozialstaatlichen Regelungen häufig nicht mit der tatsächlichen Realität übereinstimmt.
Die Untersuchung verdeutlicht, dass Familien mit niedrigem Einkommen (also weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens) weniger finanzielle Unterstützung erhalten, als es den sozialstaatlichen Vorschriften entsprechen würde. Diese Situation ist nicht nur in Deutschland zu beobachten, sondern auch in Ländern wie Österreich, den Niederlanden, Spanien und Schweden.
Die Wissenschaftlerinnen Patricia Frericks und Julia Höppner erklären den Grund für diese ungerechte Verteilung folgendermaßen: „Familien in Armutslage bekommen weniger Sozialleistungen, als es eigentlich vorgesehen ist. Dies ist besonders bei Alleinerziehenden deutlich zu erkennen im Vergleich zu Paaren. Die Differenz bei den Sozialleistungen lässt sich nur durch die Nichtinanspruchnahme erklären.“
Tabelle Sozialleistungen für Paare und Alleinerziehende
Leistung | Für Paare | Für Alleinerziehende | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Arbeitslosengeld II | Abhängig vom gemeinsamen Einkommen | Abhängig vom Einkommen | Bedarfsgemeinschaften erhalten mehr Leistungen |
Kindergeld | Unverändert pro Kind | Unverändert pro Kind | Höhe variiert nach Anzahl der Kinder |
Unterhaltsvorschuss | Nicht verfügbar | Verfügbar für Kinder ohne Unterhalt | Maximal bis zum 18. Lebensjahr des Kindes |
Wohngeld | Abhängig von Einkommen und Mietkosten | Abhängig von Einkommen und Mietkosten | Zahlung zur Unterstützung der Wohnkosten |
Sozialhilfe | Abhängig vom gemeinsamen Einkommen | Abhängig vom Einkommen | Bedarfsgemeinschaften können mehr erhalten |
Kinderzuschlag | Abhängig vom Einkommen | Abhängig vom Einkommen | Zuschlag für Familien mit geringem Einkommen |
Bürgergeld | Angepasst an Bedarfsgemeinschaft | Angepasst an Alleinstehende | Seit 01.01.2023 als Ersatz für Hartz IV |
Komplizierte Einkommenssteuer
Des Weiteren sind bedürftige Familien in Deutschland gezwungen, mehr Abgaben zu leisten als eigentlich vorgesehen. Dies könnte daran liegen, dass die Einkommenssteuer zu kompliziert ist und daher Wissen oder freundliche Unterstützung erforderlich sind. Viele Familien sind nicht einmal verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben, und erhalten bereits gezahlte Abgaben nicht zurückerstattet. In anderen europäischen Ländern ist die Situation anders. Dort können arme Menschen oft die zu niedrigen Sozialleistungen durch Steuerrückzahlungen ausgleichen.
Frericks und Höppner beurteilen die Initiative von Christian Lindner (FDP) Anfang 2024, den Kinderfreibetrag zu erhöhen, ohne das Kindergeld entsprechend anzuheben, skeptisch. Die beiden Forscherinnen prognostizieren, dass sich dadurch die Ungleichheit bei der Umverteilung zwischen Familien mit niedrigem und hohem Einkommen weiter verschärfen wird.
Kindergrundsicherung
Die Kindergrundsicherung, die von der Ampel beschlossen wurde, wird positiv bewertet. Sie hat das Potenzial, die Ungleichheit zwischen einkommensschwachen Familien und Familien mit höheren Einkommen zu reduzieren. Es wird darauf hingewiesen: „Durch die Einführung der Kindergrundsicherung könnte das Problem der Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen verringert werden, da sie verschiedene bestehende Sozialleistungen zusammenführen und den Antragsprozess vereinfachen soll.“
Quelle: DIFIS - Deutsches Institut für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung