Der Staat darf Bürgergeld-Leistungen niedriger ansetzen, wenn der Empfänger in einer Bedarfsgemeinschaft von Familienangehörigen unterstützt wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits durch Beschluss vom 27. Juli 2016 unter dem Az. 1 BvR 371/11 entschieden.
Bedarfsgemeinschaft ist Einstandsgemeinschaft
Das Gericht argumentiert wie folgt: Wenn von Familienangehörigen, die in familiärer Gemeinschaft zusammen leben, zumutbar erwartet werden kann, dass sie gemeinsam wirtschaften, darf das Jobcenter bei der Ermittlung der Bedürftigkeit für die Gewährung existenzsichernder Leistungen unabhängig von einem Unterhaltsanspruch das Einkommen und Vermögen eines anderen Familienangehörigen berücksichtigen.
Ausnahme: Es darf nicht in die Bedarfsgemeinschaft einbezogen werden, wer tatsächlich nicht unterstützt bzw. unterstützt wird.
Sohn wurde vom Vater unterstützt, ohne das Unterhaltsanspruch gegeben war
Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde:
Der Beschwerdeführer lebte mit seinem Vater zusammen, der eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog. Der Träger der Grundsicherungsleistung bewilligte dem Beschwerdeführer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in verringerter Höhe. Dies begründete das Jobcenter damit, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vater in einer Bedarfsgemeinschaft lebe, weshalb nur 80% der Regelleistung anzusetzen sei und die Rente seines Vaters zumindest teilweise bei der Berechnung des Anspruchs des Beschwerdeführers bedarfsmindernd berücksichtigt werden müsse. Der Beschwerdeführer sah seinen Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt und klagte vor dem Bundesverfassungsgericht.
Aus den Entscheidungsgründen
Das Gericht wies die Verfassungsbeschwerde zurück.
Menschenwürdiges Existenzminimum
Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstrecke sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel zur Sicherung der physischen Existenz und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Dabei habe der Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Bei der Ermittlung der Bedürftigkeit könne daher grundsätzlich auch das Einkommen und Vermögen von Personen einbezogen werden, von denen ein gegenseitiges Einstehen erwartet werden kann. Eine Anrechnung sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn zivilrechtlich kein oder nur ein geringerer Unterhaltsanspruch bestehe. Maßgebend seien nicht möglicherweise bestehende Rechtsansprüche, sondern die faktischen wirtschaftlichen Verhältnisse der Hilfebedürftigen, also das tatsächliche Wirtschaften „aus einem Topf“.
Im vorliegenden Fall der Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaft eines erwachsenen Kindes mit einem Elternteil genügen sei den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt worden.
Der Gesamtbetrag der Leistungen, die für die Existenzsicherung des Beschwerdeführers vom Jobcenter anerkannt wurden, unterschritten das zu gewährleistende menschenwürdige Existenzminimum nicht. Zwar seien dem Beschwerdeführer nur Leistungen in verminderter Höhe bewilligt worden. Dies folge jedoch aus der teilweisen Anrechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente des Vaters, weil der Gesetzgeber mit den angegriffenen Regelungen unterstelle, dass sein Bedarf durch entsprechende Zuwendungen des Vaters gedeckt sei. Der Vater verfüge jedenfalls über hinreichende Mittel, um zur Existenzsicherung seines Sohnes beizutragen.
Wirtschaften aus einem Topf
Es sei von verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz anerkannte Sozialleistungen in Orientierung an der Bedürftigkeit der Betroffenen pauschal um Einsparungen zu kürzen, die im familiären häuslichen Zusammenleben typisch sind. Insbesondere sei hinreichend plausibel, dass jedenfalls in einem Haushalt zusammenlebende Familienangehörige umfassend „aus einem Topf“ wirtschafteten. Die Annahme, das Hinzutreten eines weiteren Erwachsenen zu einer Bedarfsgemeinschaft führe zu einer regelbedarfsrelevanten Einsparung von 20 %, könne sich zumindest für die Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaft auf eine ausreichende empirische Grundlage stützen; sie bewege sich innerhalb des Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers.
Es sei verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, die Leistungen in einer Bedarfsgemeinschaft aus einem Elternteil und einem erwachsenen Kind ungleich zu verteilen. Es erscheine hinreichend plausibel, wenn der Gesetzgeber davon ausgehe, dass Eltern in häuslicher Gemeinschaft auch mit einem erwachsenen Kind regelmäßig den überwiegenden Teil der Kosten trügen und auf Abrechnungen verzichteten.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte, dass der Gesetzgeber sich von der Annahme leiten lassen dürfe, dass eine verwandtschaftliche Bindung in der Kernfamilie, also zwischen Eltern und Kindern, grundsätzlich so eng ist, dass ein gegenseitiges Einstehen erwartet werden könne und regelmäßig „aus einem Topf“ gewirtschaftet werde.
Ausnahme: Weigerten sich Eltern aber ernsthaft, für ihre nicht unterhaltsberechtigten Kinder einzustehen, fehle es aber schon an einem gemeinsamen Haushalt und damit auch an der Voraussetzung einer Bedarfsgemeinschaft. Eine Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen scheide dann aus; ein Auszug aus der elterlichen Wohnung müsse dann ohne nachteilige Folgen für den Grundsicherungsanspruch möglich sein.
Unser Redaktionsmitglied Dirk van der Temme (Jahrgang 1973) hat in Düsseldorf Diplom-Sozialarbeit studiert und erfolgreich abgeschlossen. Schon als Schüler hat er sich sozial engagiert und die Liebe zu den Menschen beibehalten. Er hat die Entwicklung der Sozialhilfe, die Hartz Gesetze und die Einführung des Bürgergeldes mit großem Interesse verfolgt. Seine Beiträge in unserem Magazin zeigen, dass er weiß, worüber er schreibt.